Frühestens ab anderthalb bis zwei Jahren benamen und empfinden wir uns selbst als „Ich“. Nur – was ist das eigentlich, dieses Ich, auch „Ego“ genannt. Vor dreißig Jahren ging die Wissenschaft noch davon aus, dass dieses Ich zu 60-70% durch unsere Gene festgezurrt sei. Heute weiß man, dass dieses Ich zu über Zweidrittel konditioniert, also von unserer Umwelt seit Geburt an geprägt wird. Dies geschieht einfach, ohne dass jemand dafür vorsätzlich Schuld oder einen positiv lobenswerten Einfluss hätte. Aber es macht in unserem Mensch-Sein und vor allem als Erwachsene unsere Einordnung und entsprechenden Handlungen dessen aus, wie wir uns im Leben an besagter Ich-Empfindung orientieren. Dieses vermeintlich objektiv gültige Ich ist jedoch nicht statisch fixiert. Es verändert sich ständig gemäß unserer wechselnden Wünsche, Erwartungen und Ideal-Vorstellungen von uns selbst. Vielleicht kann man das nochmals auf sich einwirken lassen – es gibt keine Konstanz dessen, was wir als unser Ich empfinden.

Ich werde mich bei einem Vorstellungs-Gespräch für einen Job auf die Frage, wer ich bin, anders darstellen, als wenn mich ein nettes Mädchen oder ein toller Mann das fragen würde. Unser Ich passt sich fast ständig den Sehnsüchten und Wünschen an, die uns gerade erstrebenswert erscheinen und die uns glücklich machen sollen. So suche ich mir auch möglichst die Partner/innen aus, die den gerade vorherrschenden Bedürfnissen von mir nützlich sind. Das führt zu sehr eigennützigen Beziehungen. Wenn die Freundinnen oder Freunde mich nicht mit ihrer Unterstützung bedienen, so können sie mir den Buckel runter rutschen. Man kann also davon ausgehen, dass, wenn ich mein Ich als Berechtigung für meine Forderungen an die Welt deklariere, es zwar möglich sein kann, dass ich mich selbst behaupte, aber es wird dann immer jemand geben, der dafür zahlt. Wenn ich reich werde, so geht das nur, wenn andere ärmer dadurch werden. Wenn mein Ich mir einhämmert, dass ich immer Recht habe, so muss es Andere geben, die – aus meiner Sicht – Unrecht haben.

Besagte Gedanken über das „Ich“ lassen schließlich vermuten, dass, wenn wir unbewusst doch mal Zweifel an der Berechtigung unserer Ich-Forderungen bekommen, die totale Panik ausbricht und wir z.B. in Streitgesprächen aus dieser Angst heraus immer aggressiver auf Andere einwirken. Wenn wir wirklich ein unfehlbares Ich besäßen, so würde uns nämlich eine andere Meinung nicht dermaßen aus unserer Mitte bringen können. Ein friedensstiftendes Fazit wäre also, dass wir Beziehungen nicht als „Du da“ und „ich hier“ leben würden, sondern als sich gegenseitig bedingend und daher nicht wirklich als getrennt erkennen würden.

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