„Unn, ausgeschlohfe?“ Wenn mir diese Formulierung um elf Uhr vormittags als Gruß entgegen posaunt wird, dann ist mir sonnenklar: die Betreffenden interessieren sich nicht wirklich dafür, ob mein Schlaf erholsam war.

Was steckt tiefer hinter diesem vorgetäuschten Interesse an meiner Wachheit ? Ich unterstelle mal den unbewussten Impuls „Hoste dann schon was geschafft?“ Wenn man sich das harte Leben in ländlichen Bereichen über die Jahrhunderte hinweg vergegenwärtigt, so müssen sich zwei wesentliche Kriterien für die Wertschätzung eines Menschen bis in das Erbmaterial eingraviert haben: 1) Kommt er/sie bei Zeiten aus den Federn und 2) Ist er/sie auch fleißig)? Beide Bewertungen werden aus meiner Sicht in dem oben zitierten Gruß abgefragt.

Vor einigen Jahren machte der Spruch „Unn – bisde fit?“ die Runde. Merken Sie was? Wieder wage ich daran zu zweifeln, dass die Motivation für diese Erkundigung der reinen Nächstenliebe entsprungen ist. Was heißt denn „fit“? Wenn sich jemand nach meinem Befinden erkundigt, müssten doch eigentlich die Frage genügen, ob es mir gut geht. Aber das reicht in der heutigen Zeit der inflationären Superlative mit „Mega geil und Co.“ nicht mehr aus – „fit“ soll eben mehr als gesund oder zufrieden den Allgemeinzustand noch toppen.

Doch zurück zum Thema. Ich beobachte über einen langen Zeitraum hinweg eine zunehmende Ignoranz, wenn nicht sogar Verrohung in unseren zwischenmenschlichen Beziehungen. Wenn jemand sein Gegenüber fragt, wie es ihm geht, so wollen Viele nicht wirklich hören „Danke, gut!“ Die von tiefem Mitgefühl geprägte Äußerung „Gell des Bein wird aa nix meij…“ ist keine von mir aus der Luft gegriffene Übertreibung, sondern entspricht einem tatsächlich erlebten Nachsetzer auf die Frage nach dem werten Befinden. Wenn ich mich auf Defizite und Unpässlichkeiten der anderen stürze, brauche ich meine eigenen Probleme nicht mehr anzuschauen. So einfach funktioniert diese Form der Ablenkung. „Die werde aa geschiede, der iss kurz vorm Bankrott, die
krieje kein Geld z`amme“ und so weiter.

Ich müsste lügen, wenn ich mich nicht selbst auch schon mal dabei ertappt hätte, dass ich mein Unheilsein in anderer Leute Probleme projiziert hätte. Ein psychologisch verständlicher Mechanismus, aber hinsichtlich eines reifen Umgangs mit Widerständen kontraproduktiv.

Fazit: Mitleiden macht keinen Sinn. Aber das zunehmend schwindende Potential an Mitgefühl lässt uns um eine wesentliche Qualität des Menschseins ärmer werden.

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