Der persönlich erfahrene Leidensdruck in meinem Leben stellt heutzutage ein Kapital für mich dar, wenn es um die Beratung leidgeprüfter Menschen geht. Ich möchte diese Krisen nicht alle nochmals durchleben. Aber ich bin in der kompetenten Lage mitreden zu können, wenn jemand sein Leid mit mir teilt. Ich habe nicht immer die gleichen Auslöser und Umstände wie meine Gesprächspartner erfahren, aber unter dem Strich saldiert weiß ich, wie sich das Ende der Fahnenstange anfühlt.

Wenn ich von mir erzähle, von der einstmaligen Empfindung, der letzte Überlebende nach einem Atomkrieg zu sein, lebendig begraben, voller Verzweiflung und Aussichtslosigkeit, dann öffnet sich mein Gegenüber und ich kann von dem Wunder meiner Heil-Werdung berichten, das wohl mit der Annahme der Existenz von Leid und einer damit verbunden vertrauensvollen Kapitulation im Sinn „Dein Wille geschehe“ begründen lässt.

Es liegt in der menschlichen Natur, dass wir Schmerz umgehen möchten. Meiner Erfahrung zufolge kommen wir jedoch nicht um persönliche Pein und um das Leid der Welt herum. Wenn mir – und dies wird mich bis an mein Lebensende begleiten – Situationen begegnen, in denen ich keinen Sinn im Unsinn erkennen kann, dann werte ich das als Geburtswehen neuer Reifungs-Prozesse. Wenn ich mich dem Leiden stelle, es annehme und auch wieder loslasse, dann kann daraus inneres Wachstum erstehen. Das ist kein Fatalismus oder gar Masochismus, sondern generiert sich aus der Erfahrung, dass Leiden eine Eintrittskarte für Weisheit und Reifung sein kann.

Buddha – und vor allem auch Jesus – wussten um die Notwendigkeit von Leid. Als Petrus einmal Jesus von dessen Weg in sein bevor stehendes Leiden abbringen wollte, wies Jesus ihn zurecht, dass es nur eine Auferstehung nach vorherigem Leiden und Tod gebe. Im menschlichen Leben gibt es zahlreiche Varianten schmerzlicher Erfahrungen: Enttäuschungen, Verletzungen, Gewalt, Krankheit, Nachlassen jugendlicher Spannkraft und Attraktivität und schließlich den körperlichen Tod. Soll das alles völlig sinnlos sein? Dann würden wir Gott zu einem Buchhalter degradieren, der als strenges Gericht über Strafen in Form von Schicksalsschlägen, Krankheit oder Sonstiges befindet.

Es möge sein, dass wir durch unsere eigene innere Einstellung Leid verstärken, indem wir dagegen ankämpfen und es nicht akzeptieren und loslassen wollen. Aber ich glaube nicht, dass wir jemals aus der Liebe Gottes heraus fallen werden, außer wir verweigern uns in einer eigenen Entscheidung. Gnade hat nur eine Chance, wenn wir sie annehmen.

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